Haftapparat der Geckos

HAFTAPPARAT MIT AUSGEFEILTER CHOREOGRAFIE

 

"Geckos finden nahezu auf jeder Fläche Halt. Binnen fünfzehn Mikrosekunden
(millionstel Sekunden) können sie diesen aber auch ohne messbaren Kraftaufwand wieder lösen. Dazu aktivieren und deaktivieren sie ihren Haftapparat in einer ausgefeilten Choreografie. Solange der Gecko seine Setae nicht einsetzt, krümmen sie sich zur Zehe hin, damit die Spatulae nicht miteinander verkleben. Setzt die Echse ihren Fuß auf, dann drückt sie ihn leicht gegen die Bewegungsrichtung. Dabei klappen die Setae um, bis ihr Winkel zur Fläche kleiner als dreißig Grad ist. In dieser Position richten sich die Spitzen der Setae parallel zum Untergrund aus und alle Spatulae schmiegen sich jetzt eng an ihn an. Die Ablösetechnik des Geckos sieht lustig aus: Er rollt dabei die Zehen „verkehrt“ herum nach oben, als zöge er Klebebänder ab. Dabei werden die Setae wieder aus dem 30°-Winkel herausgedreht, und die Spatulae lösen sich ohne Kraftaufwand vom Untergrund."

BLICK IN DIE NANOWELT


"Das normale menschliche Auge erkennt unter den stark verbreiterten Zehen des Tokee, einer der größten Geckos aus Südostasien, flauschige Lamellenstrukturen. Im Lichtmikroskop entpuppen sie sich als Felder aus dichten, feinen Haaren. Jedes Haar, der wissenschaftliche Fachbegriff ist „Seta“, ist ein zehntel Millimeter lang und nur ein fünftel Mikrometer dick und damit zehnmal feiner als ein menschliches Haar. Das stärkere Elektronenmikroskop zeigt, dass jede Seta sich an ihrer Spitze in Hunderte winziger, spatenförmiger Blättchen aufspaltet, die „Spatulae“ – lateinisch: Schäufelchen. Jede dieser Spatulae ist nur noch rund zweihundert Nanometer breit (ein Nanometer entspricht einem milliardstel Meter). Die Dicke der Spatulae beträgt sogar nur noch zwischen zehn
und fünfzehn Nanometer. In diesen engen Raum passen gerade noch fünf oder sechs Keratin-Moleküle nebeneinander. Diese Proteine sind nicht nur die Bausteine der Gecko-Hafthaare, sondern geben auch unseren Nägeln und Haaren die Festigkeit. Keratin ist eigentlich ziemlich zäh, doch die unglaublich feine Verästelung macht die fiedrigen Setae und Spatulae extrem anschmiegsam. So können sie sich an mikroskopisch, ja sogar nanoskopisch feine Rauheiten des Untergrunds anpassen. Und das ist eines der Geheimnisse hinter der Haftkraft des Geckos."

 

ANSCHMIEGEN IST TRUMPF


"Um den Gecko und das Phänomen seiner Haftfähigkeiten zu erklären, benötigt man physikalische Gesetze, die die so genannte Kontakttheorie beschreibt. Grundsätzlich entsteht ein Kontakt immer dann, wenn sich zwei Flächen gut aneinander „anschmiegen“. Um auf Felsen, Blättern, Baumrinden etc. laufen zu können, müssen sich die Hafthaare des Geckos gut an diese verschiedenartigen Untergründe anpassen. Sie sind deshalb extrem flexibel und trotzdem fest, denn sonst würden sie abreißen. Beim Anschmiegen verhalten sich die Setae wie winzige Federn: Sie biegen sich, aber ihr Widerstand gegen diese Verformung wächst. Diesem mechanischen Widerstand wirkt bei einem Kontakt mit einer Wand oder Glasplatte eine anziehende Kraft entgegen, deren Ursache molekulare Oberflächenkräfte sind. Das entscheidende Wechselspiel zwischen diesen beiden Kräften findet am Rand des Kontakts statt. Nicht die Größe der Kontaktfläche ist entscheidend für das Haften, sondern allein ihr Umfang. Diese merkwürdige Eigenschaft winziger Kontakte erklärt sofort, warum die tierischen Haftartisten so feine Haare haben. Wer seine Kontaktfläche in viele kleine Kontaktflächen aufteilt, bekommt in der Summe einen größeren Gesamtumfang. Anhand eines Blattes Papier kann man sich das schnell klar machen: Wenn man es in mehrere Stücke zerschneidet und dann die Kantenlängen misst und addiert, dann erhält man den Gesamtumfang aller Schnipsel, der den Umfang des ursprünglichen Blattes deutlich übersteigt. Auf der Basis dieses einfachen geometrischen Zusammenhangs – und mit noch ein paar komplexeren Zutaten – ergibt die Kontakttheorie folgendes verblüffend einfache Gesetz: „Zerteile die Kontaktflächen in kleinere Kontakte, wobei n eine natürliche Zahl ist, und steigere so die Kontaktkraft um den Faktor √n.“ Würde man also einen Kontakt in 10.000 kleinere Kontakte aufteilen, dann stiege die Haftkraft um den Faktor 100. Tatsächlich hält sich die Natur genau an dieses Gesetz. Die naive Vermutung, dass die Tiere durch das Aufteilen in viele feine Haare ihre effektive Kontaktfläche vergrößern, ist deshalb falsch. Sie steigern ihre Haftkraft über den Gesamtumfang der Kontakte"


LADUNGSVERSCHIEBUNGEN IN DEN ELEKTRONENHÜLLEN


"Aber welche molekularen Kräfte sorgen für die Anziehungskraft? Ende der 1960er-Jahre kamen Forscher dem Rätsel schon ansatzweise auf die Spur. Sie setzten Geckos auf unterschiedlich präparierte Oberflächen und fanden so heraus, woran die Echsen scheitern: Eine perfekte Gecko-Rutschbahn müsste mit Teflon beschichtet sein. Vor fünf Jahren konnten Wissenschaftler dann zeigen, dass für das Haften der Tiere die Van-der-Waals-Kräfte verantwortlich sind. Denn Gecko-Setae haften auf Wasser anziehenden Oberflächen ähnlich gut wie auf Wasser abstoßenden. Kapillarkräfte konnten somit nicht der entscheidende Kleber sein, da sie nur bei hydrophilen Oberflächen wirken. Die Van-der-Waals-Kraft dagegen funktioniert auf nahezu allen Oberflächen – nur bei Teflon sind die Ladungen an der Oberfläche zu schwach und damit auch die Van-der-Waals-Kräfte.

Sie beruhen nämlich auf winzigen Ladungsverschiebungen in den Elektronenhüllen der Moleküle. Man kann sich das so vorstellen:
Die Elektronenverteilung in Molekülen und Atomen ist nicht ständig gleich, sie ist nur ein statistischer Mittelwert. Die Elektronenwolke kann sich mal etwas mehr in die eine Richtung ausbreiten, mal etwas mehr in die andere. Die Teilchen wirken dann ähnlich wie Dipole, und diese kleinen Ladungsverschiebungen sorgen dafür, dass sich Moleküle in der Spitze des Hafthaars und Moleküle des Untergrunds gegenseitig anziehen. Über die sehr vielen Spatulae summieren sich die Van-der-Waals-Kräfte massiv auf: Im Prinzip können sie einen großen Gecko mehrfach halten. Den Forschern gelang es sogar, die Haftkraft einer einzelnen Tokee-Seta zu messen. Aus diesem Ergebnis rechneten sie hoch, dass ein an einer senkrechten, glatten Wand sitzender Tokee mit seinen 6,5
Millionen Setae theoretisch das Gewicht zweier mittelgroßer Menschen tragen könnte."

 

 

 

Zusammenfassung:

Wie funktioniert die Adhäsion bei Geckos:

 

"Geckos nutzen ein "trockenes" Haftsystem, das ganz ohne Klebstoff funktioniert. Sie besitzen aber keine Saugnäpfe wie z. B. ein Tintenfisch. Stattdessen nutzen sie eine Kombination aus van-der-Waals-Kräften (das sind relativ schwache Wechselwirkungen zwischen Atomen oder Molekülen) und wasserbasierenden Kohäsions- und Adhäsionskräften. Auf jeder natürlichen Oberfläche befindet sich ein hauchdünner Wasserfilm (Monolayer). Diese Schicht nutzt der Gecko.

Elektronenmikroskopische Untersuchungen des Geckofußes haben gezeigt, dass jeder "Zeh" aus einigen Hunderttausenden mikroskopisch kleiner Härchen (Setae) aus dem Eiweiß Keratin besteht. Der Durchmesser eines solchen Härchens beträgt nur ein Zehntel des Durchmessers eines menschlichen Haares. Jede Härchen spaltet sich nochmals in mehrere Hundert Untereinheiten auf. Die Enden dieser Nanohärchen, von denen jeder Gecko etwa eine Milliarde besitzt, sind nur rund 200 Nanometer (200 Millionstel Millimeter) groß, und nur sie kommen in den direkten Kontakt mit der Oberfläche. Damit kann sich jeder Zeh auch einer unregelmäßigen Oberfläche perfekt anpassen. Diese Härchen "tauchen" gewissermaßen in den Wasserfilm ein und sorgen so für gute Haftung."

 

 

"Die besondere Kletterfähigkeit der Geckos war lange Zeit ein Geheimnis. Man vermutete zunächst Klebstoffe oder eine Art Saugnapf, die Lösung liegt aber woanders. Vergrößert man den Fuß eines Geckos stark, so kann man kleine Rillen entdecken, die ihrerseits wieder dicht mit kaum sichtbaren Haaren besetzt sind. Etwa eine Milliarde dieser winzigen Härchen gibt es an jedem Fuß. Sie haben die Eigenschaft, sich optimal an jede Oberfläche anschmiegen zu können – ob grobporiges Gestein oder sehr glattes Glas. Die Enden der Härchen sind so klein, dass sie sich bis auf wenige Millionstel Millimeter an den Untergrund annähern! Dort wirken dann atomare Bindungskräfte, die diese unglaubliche Haftung erst erlauben."